Vor einiger Zeit habe ich auf Facebook mit dem Posten dieser Checkliste eine interessante Diskussion angestoßen. Es kam die Frage auf, ob Fantasy überhaupt noch Fantasy ist, wenn man alle Klischees wegnimmt, und wie viel Originalität man sich eigentlich leisten kann.
Die Sache mit der Originalität ist nämlich relativ seltsam. Zum einen will natürlich niemand schlechte Kopien von irgendwas Erfolgreichem lesen. Zumindest wird das oft behauptet. Zum anderen scheint man aber auch nicht allzu weit vom Altbekannten abweichen zu dürfen, sonst hagelt es auch wieder Beschwerden.
Aber ich schweife ab …
Irgendwie haben mich diese Diskussion und diese Liste nicht mehr losgelassen. Eigentlich sollte man doch auch eine klassische Fantasygeschichte schreiben können ohne die ganzen Klischees. Und mit klassisch meine ich die typische Heldenreise vor pseudomittelalterlichem Hintergrund. Der junge Held, der sich selbst finden muss, um den Tag zu retten. So in der Richtung.
Deshalb dachte ich mir, ich mache mal ein Gedankenexperiment und entwerfe einen Helden für eine solche Geschichte. Mal sehen, wie gut es funktioniert.
Was brauchen wir?
Der Held muss eine Identifikationsfigur für den Leser sein. Er darf nicht zu viel über die Welt wissen, weil es generell als optimal gilt, wenn der Leser diese Welt mit ihm zusammen kennenlernt. Deshalb beginnen so viele Fantasyromane in einem idyllischen, abgeschiedenen Dorf und deshalb ist der Held so oft ein weltfremder Trottel.
Andererseits … wie viele Leser sind wohl Bauern oder Schmiedlehrlinge in winzigen Dörfern? Wenn man wirklich sagt, der Held sollte aus Identifikationsgründen möglichst viel mit dem Leser gemeinsam haben, wäre es dann nicht besser, er käme aus einer kleinen bis mittelgroßen Stadt? So ein Bauernjunge hat doch, wenn man ihn sich genauer ansieht, einen relativ großen Wissensvorsprung dem Leser gegenüber. Er weiß zum Beispiel, wie man Schweine oder Ziegen oder sonstwas hütet. Er kann Kühe melken. Womöglich sogar mit Pferden umgehen. Und meistens weiß er auch, wie man Kaninchen fängt, was relativ nützlich ist, da Kaninchen gleich nach Eintopf das wichtigste Nahrungsmittel in Fantasywelten sind.
Dem Leser viel näher wäre beispielsweise ein Schreiberlehrling oder Archivarslehrling oder so etwas. Wenn Leser eines verbindet, dann ist es immerhin die Liebe zum geschriebenen Wort. Das hat der Erfolg von „Tintenherz“ ziemlich gut bewiesen.
Käme der Held aus einer Stadt, dann hätte man gleich auch in paar neue Themen, was das Lernen und Staunen angeht, das jeder Fantasyheld zwischendurch tut. Anstelle des „Oh, das ist also eine Stadt. So viele Leute auf einem Haufen habe ich ja noch nie gesehen.“ würde etwas in der Richtung von „Oh, das ist also ein Wald. So viele Bäume auf einem Haufen habe ich ja noch nie gesehen.“ treten. Staunet über das Ausmaß der Abwechslung.
Ein weiterer Punkt ist die Sache mit den Eltern. Es ist eine eherne Regel, dass ein Held ein Waise sein muss. Wenn am Anfang der Geschichten die Schergen des Bösen™ kommen und seine Familie töten, hat er einen Grund aufzubrechen, um das Unrecht in der Welt zu beseitigen. Außerdem gibt es dann nichts mehr, das ihn zurückhält.
Die Situation des Helden am Anfang des Romans muss also den Anstoß zum Aufbruch geben. Optimalerweise verliert er alles. Aber müssen deswegen gleich alle sterben? Wie wäre es, wenn der Held zu Anfang richtig großen Mist baut, deshalb niemand mehr mit ihm zu tun haben will und er loszieht, um alles wieder gut zu machen? Oder man denkt zumindest, er hätte Mist gebaut, aber in Wirklichkeit waren es die Schergen des Bösen™, die nur jemanden gebraucht haben, dem sie die ganze Sache anhängen können.
So weit erst mal zum Gedankenexperiment. Natürlich erfindet man damit das Rad nicht neu. Aber darum geht es ja auch gerade nicht.
Ich denke, es gibt auch in der klassischen Fantasy noch ein paar nicht ganz so ausgetretene Pfade.
Was denkt ihr?
Ich hab mal eine Kurzgeschichte geschrieben, in der der jugendliche Held ein Tischler auf der Walz war …
Es gibt genug Möglichkeiten jemanden auf eine Reise zu schicken und ihn die Welt erkunden zu lassen ohne dass gleich Dramen dranhängen.
Stimmt. Wobei Dramen natürlich, wie der Name schon sagt, dramatischer sind 😉 Deshalb habe ich auch nicht vorgeschlagen, den Held einfach so losziehen zu lassen. Da gäbe es natürlich auch einen Haufen Möglichkeiten.
In einer Geschichte ist irgendein dramatisches Ereignis, das den Anstoß zum Losziehen gibt und gleichzeitig den Grundstein für den Konflikt legt, schon nicht verkehrt. Aber es muss halt nicht immer „Orks haben meine Familie getötet“ sein.
Ich hab ja auch gar nix gegen Drama. Bloss gegen DRAMAAAAAAA!!!!!1111einself *G*
Persönlich finde ich es reizvoller jemanden, der völlig ahnungslos und guten Mutes ist, in eine abenteuerliche Situation zu schicken. Und ich finde es auch gut, wenn er noch positive und auch starke Bindungen zu seiner Vergangenheit (Familie, Heimat, etc.) hat. Für mich macht das einen Char glaubwürdiger. UND es ist interessanter, eine Motivation für ihn zu finden, sich in ein Abenteuer überhaupt reinzustürzen bzw. es fort zu setzen. Sonst könnte er nämlich einfach nach Hause gehen *G* Das klassische ‚Ich habe sowieso nichts mehr!‘ nimmt dem Autor eine Menge Denkarbeit ab.
Da ist auch wieder was dran.
Die große Frage wäre doch: Gab es einen solchen Schreiberlehrling-Helden in der High Fantasy schon mal? (übrigens sehe ich da keinen großen Unterschied zu einem Magiernovizen, der ebenfalls eher Marke Bücherwurm sein dürfte)
Und wenn es ihn gab, wie erfolgreich war der Roman? Wurde er vom breiten Publikum angenommen? Oder nur vom kleinen Kreis der (ich nenn sie mal) fortgeschrittenen Leser, denen das alte Schema schon an den Ohren herauskommt?
Falls die Idee wirklich brandneu ist, solltest Du sie ausprobieren und am Publikum testen, ob sie originell genug ist, um die „Alt-Leser“ zu begeistern, und konventionell genug, um auch der breiten Leserschaft zu gefallen 🙂
Stimmt. Magiernovizen gibt es natürlich ein paar in der Fantasy. Allerdings nicht so viele wie Bauernjungen. Und oft wird dann eher eine Magierschule-Geschichte erzählt, anstatt diese typische Reise durch unzählige Gefahren usw.
Ich hab noch nie von einem Roman mit einem Schreiberlehrling als Protagonist gehört. Falls jemand eines weiß, wird er sich ja hoffentlich hier melden.
Falls mir niemand eines nennen kann, teste ich sie vielleich tatsächlich irgendwann mal. Vorausgesetzt, mir fällt was Gutes zum weisen Mentor und zum bösen Tyrannen und so ein 😉 Das wäre mal ein interessanter Versuch.
In meinem Roman, den Du gerade testliest, ist der weise Mentor eine attraktive junge Frau 🙂 Ich bin gespannt, ob das jemandem so auffallen wird, dass es Erwähnung findet.
Ah, da bin ich gespannt 🙂
Gerd Scherm: „Der Nomadengott“ hat einen Schreiberling als Protagonisten. Außerdem müsste es einige von Prattchet geben (es gibt fast kein Klischee/Antiklischee, das nicht bei Prattchet vertreten ist).
Bei Pratchett und im Nomadengott, hm. Heißt das nun, dass der Schreiberling nur als Fantasy-Parodie funktioniert? Oder hat nur noch keiner ausprobiert, wie es in einem ernst gemeinten Roman geht? Kann mir eigentlich nicht vorstellen, warum es nur in der witzigen Version funktionieren sollte.
Stimmt, „Der Nomadengott“ würde ich jetzt aber auch nicht unbedingt als klassische Fantasy bezeichnen.
Bei Pratchett gibt es nur diesen einen Beamten, der sich Cohen und seinen Leuten anschließt. In „Wahre Helden“ müsste das sein.
In Hardebuschs „Die Trolle“ ist der zweite Hauptcharakter ein fahrender Schreiber aus dem östlichen Imperium – zumindest behauptet er das. Das würde zumindest als „ernst gemeinter Roman“ durchgehen, oder? 🙂
Du hast ein Kaninchentrauma.;-)
Ganz eindeutig *g*
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